Seilführung beschreibt die planvolle Führung, Umlenkung und Sicherung von Seilen und Drahtseilen, um Lasten kontrolliert zu bewegen, Bauteile zu stabilisieren und Arbeitsabläufe zu strukturieren. In praxisnahen Anwendungen rund um Betonabbruch, Felsabtrag, Entkernung und Tunnelbau spielt sie eine zentrale Rolle: Bauteile, die mit geeigneten Betonzangen im Rückbau, Stein- und Betonspaltgeräten oder weiteren hydraulischen Schneid- und Spaltwerkzeugen gelöst werden, müssen häufig über Führungsseile gehalten, gedreht, abgelassen oder aus Sicherheitsgründen gesichert werden. Eine sorgfältig geplante Seilführung reduziert Risiken, verhindert unkontrollierte Bewegungen und unterstützt eine effiziente, materialschonende Vorgehensweise.
Definition: Was versteht man unter Seilführung
Unter Seilführung wird die Gesamtheit aller Maßnahmen verstanden, mit denen Seile, Drahtseile oder textile Führungsleinen so geführt werden, dass Kraftfluss, Bewegungsrichtung und Stabilität berechenbar bleiben. Dazu gehören die Wahl geeigneter Anschlagpunkte, die Platzierung von Umlenkungen, der Schutz an Kanten, das Einhalten geeigneter Seilwinkel sowie die Zuordnung klarer Bedienfunktionen (Führen, Halten, Sichern, Bergen). Ziel ist ein kontrollierter Seilverlauf bei minimalem Verschleiß und maximaler Betriebssicherheit. Seilführung grenzt sich von der Führung von Schläuchen und Kabeln ab, berührt diese aber in der Praxis, da sich Seile und Leitungen am Einsatzort nicht behindern dürfen.
Grundlagen und Prinzipien der Seilführung
Eine tragfähige Seilführung folgt physikalischen und organisatorischen Grundsätzen. Wesentlich sind Reibung, Umlenkung, Biegeradien, Winkel und die Qualität der Anschlagmittel. Ebenso wichtig sind klare Zuständigkeiten, eindeutige Handzeichen und eine räumlich saubere Trennung von Arbeits- und Gefahrenbereichen.
- Kraftfluss: Seile verlaufen möglichst geradlinig, Umlenkungen sind reduziert und sinnvoll positioniert.
- Winkel: Flache Seilwinkel erhöhen Kräfte in Anschlagpunkten; die Winkelgestaltung erfolgt bewusst und mit Reserve.
- Kantenschutz: Kontaktzonen werden geschützt, um Schnitte und Kerbwirkungen zu vermeiden.
- Biegeradius: Umlenkrollen und Anbauteile besitzen ausreichend große Radien zur Seilschonung.
- Redundanz und Rückhaltung: Bei kritischen Lasten werden Sicherungsseile berücksichtigt.
- Kommunikation: Führen und Lösen erfolgt nur nach klaren Signalen.
Seilführung im Betonabbruch und Spezialrückbau
Beim Trennen und Abnehmen von Betonelementen entsteht häufig das Bedürfnis nach steuerbarer Drehung und kontrolliertem Ablassen. Führungsseile (Taglines) ermöglichen gezielte Bewegungen, während tragende Anschlagmittel die Last übernehmen. In Verbindung mit Betonzangen, Kombischeren oder Multi Cutters wird die Seilführung so geplant, dass Bauteile nach der Trennung weder pendeln noch kippen.
Arbeiten mit Betonzangen: Führungsseile sinnvoll einsetzen
- Lastaufnahme planen: Anschlagpunkte so wählen, dass Schwerpunkt und geplante Schneid- bzw. Trennlinie berücksichtigt sind.
- Führungsseile anbringen: Leichte, nicht leitfähige Leinen zum Drehen und Ausrichten; tragende Anschlagmittel getrennt davon führen.
- Umlenkungen setzen: Nur falls nötig; auf geeignete Biegeradien und Kantenpolster achten.
- Trennschnitt/Spalt setzen: Während des Eingriffs Seilführung aktiv bedienen, um Kantenkontakt zu vermeiden.
- Ablassen und Absenken: Schrittweise, mit klaren Signalen zwischen Bedienpersonal an Hydraulikaggregat und Seilführenden.
Entkernung und Schneiden: Kontrolle statt Pendeln
In Gebäuden mit geringem Raumangebot stabilisieren Führungsseile Bauteile beim Heraustrennen. Umlenkungen über Tür- und Fensteröffnungen erfordern verstärkten Kantenschutz. Das Bedienpersonal hält ausreichend Abstand zu möglichen Falllinien, während die Seilführung Bauteile kontrolliert aus dem Verbund löst.
Seilführung beim Felsabbruch und in der Natursteingewinnung
Beim Lösen von Gesteinsblöcken mit Stein- und Betonspaltgeräten oder Steinspaltzylindern werden Sicherungs- und Führungsseile eingesetzt, um Bewegungsrichtung und Kippmomente zu beherrschen. In geneigten Lagen verhindern Rückhalteseile das Abgleiten. Ankerpunkte (z. B. gebohrte Verankerungen) sind so positioniert, dass Kräfte über kurze, geradlinige Seilwege eingeleitet werden.
Sicherungsseile bei Bohrlochspaltungen
Vor dem Spreizen werden Führungs- und Rückhaltefunktionen festgelegt. Das Personal hält nach dem Ansetzen des Spaltwerkzeugs die Seile straff, um plötzliche Rotationen oder das „Freischlagen“ von Blöcken zu verhindern. Das verringert Beschädigungen an Umfeldstrukturen und steigert die Arbeitskontrolle.
Umlenkungen und Kantenschutz im Steinbruch
Schroffe Kanten erfordern konsequenten Schutz. Umlenkrollen mit großem Durchmesser und Schutzmatten an Felskanten vergrößern den Biegeradius und reduzieren Abrasion. Textilseile werden gegen scharfe Mineraloberflächen gesichert, Drahtseile regelmäßig auf Litzenbrüche geprüft.
Seilführung im Tunnelbau und bei Sondereinsätzen
Untertage und in beengten Bauwerken sind Fluchtwege, Belüftung und Sicht eingeschränkt. Seilführung unterstützt das taktische Bewegen von Segmenten, Rohrleitungen und gelösten Bauteilen. Bei Arbeiten mit Stahlscheren oder Tankschneidern stabilisieren Führungsseile Bleche gegen unkontrolliertes Verdrehen. Gleichzeitig wird auf Funkenflug, Temperatur und Stoffverträglichkeit der Seile geachtet.
Beengte Räume, klare Wege
Seilverläufe werden vorab freigehalten, Kreuzungen mit Schlauchleitungen vermieden. Markierte Seilkorridore und feste Zuordnung von Bedienpersonen verhindern Missverständnisse.
Auswahl von Seilen und Anschlagmitteln
Die Auswahl richtet sich nach Funktion (Führen, Halten, Sichern), Umgebungseinflüssen und Abrieb. Für tragende Aufgaben kommen geprüfte Anschlagseile, -seile aus Draht oder Ketten in Betracht; zum Führen eignen sich leichte, gut greifbare Leinen. Chemische Beständigkeit, Temperatur und elektrische Eigenschaften werden berücksichtigt.
- Drahtseile: Hohe Abriebfestigkeit, geeignet bei Kantenkontakt, regelmäßige Schmierung und Sichtprüfung erforderlich.
- Textilseile (z. B. Polyester, Polyamid, HMPE): Geringes Gewicht, gute Handhabung als Führungsleine; Kantenschutz zwingend.
- Ketten und Hebebänder: Für die Lastaufnahme; in Kombination mit Führungsseilen für das feinfühlige Ausrichten.
Kräfte, Winkel und Biegeradien
Mit zunehmendem Spreizwinkel steigen die Kräfte in Anschlagpunkten. Umlenkungen verändern die Lastpfade und erhöhen durch Reibung die benötigte Haltekraft. Ausreichend große Biegeradien an Rollen und Kanten verlängern die Lebensdauer der Seile und erhalten Tragfähigkeit. Dynamische Effekte (Ruckbelastungen) lassen sich durch ruhige Signalgebung und kontinuierliche Zugführung reduzieren. Angaben zu Tragfähigkeiten und Winkeln orientieren sich stets an den Herstellerunterlagen der eingesetzten Anschlagmittel.
Seilschonung durch geeignete Umlenkungen
Umlenkrollen mit passender Nut, glatte Oberflächen und Schutzschläuche vermeiden punktuelle Belastung. Kanten werden so präpariert, dass keine scharfkantigen Kontaktpunkte entstehen.
Planung, Aufbau und Dokumentation
- Arbeitsumfeld beurteilen: Lastwege, Falllinien, Fluchtwege, Hindernisse.
- Anschlagpunkte festlegen: Tragfähig, erreichbar, mit ausreichender Reserve.
- Seilwege definieren: Möglichst geradlinig, geringe Umlenkungen, kantenschutzgerecht.
- Rollen und Schutzmittel auswählen: Passender Biegeradius, Materialverträglichkeit.
- Kommunikation vereinbaren: Handzeichen, Funk, Stopp-Signale.
- Probelast/Probebewegung: Kleiner Bewegungsweg, Kontrolle der Seilführung.
- Dokumentation: Skizze der Seilwege, Zuordnung von Aufgaben, Freigabe.
Typische Fehler und wie man sie vermeidet
- Zu enge Biegeradien: Größere Rollen oder alternative Seilwege nutzen.
- Undefinierte Seilwinkel: Winkel planen, Anschlagpunkte anpassen.
- Kantenkontakt ohne Schutz: Schutzmatten, Kantenschützer, Umschlingungen mit Schutzschlauch.
- Vermischung von Führungs- und Lastseilen: Funktionen trennen, klare Markierung.
- Mangelnde Kommunikation: Verbindliche Signale und Zuständigkeiten festlegen.
Schnittstellen zu Hydraulikaggregaten und Werkzeugführung
Geeignete Hydraulikaggregate für den Einsatz speisen Betonzangen, Stein- und Betonspaltgeräte sowie andere Werkzeuge. Seilführung und Schlauchführung werden getrennt geplant: Seile dürfen nicht über Hydraulikleitungen laufen, um Scheuern, Stolperstellen und Fehlbedienungen zu verhindern. Schlauchpakete werden so geführt, dass sie sich nicht in Seilen verfangen; die Wege bleiben für Bedienpersonal frei.
Pflege, Kontrolle und Stilllegung von Seilen
Regelmäßige Sichtprüfungen auf Abrieb, Brüchigkeit, Drahtbrüche oder Kernschäden sind obligatorisch. Drahtseile werden bedarfsbezogen geschmiert, textile Seile trocken und sauber gelagert. Bei Beschädigungen, zweifelhafter Historie oder nach außergewöhnlichen Belastungen werden Seile vorsorglich ausgesondert. Prüfintervalle richten sich nach Einsatzhäufigkeit und Umgebungsbedingungen.
Arbeitsorganisation, Signale und Kommunikation
Eine klare, kurze Signalgebung erhöht die Sicherheit. Bewährt haben sich einfache Kommandos für Stop, Zug aufnehmen, Zug lösen und Absenken. Sichtverbindung ist vorzuziehen; bei eingeschränkter Sicht wird Funk genutzt. Nur eine Person gibt Kommandos; diese Rolle ist vor Arbeitsbeginn benannt.
Umwelt- und Materialschutz
Seilwege werden so gelegt, dass Bauteile nicht unkontrolliert an Fassaden, Belägen oder Einbauten anschlagen. Schutzauflagen an Kontaktstellen vermeiden Spuren. In Natursteinbrüchen werden Vegetation und Entwässerungen geschont, indem Seilführung und Anschlagpunkte entsprechend gewählt werden.
Begriffsabgrenzung
Seilführung ist nicht gleich Anschlagen. Anschlagen beschreibt die kraftschlüssige Verbindung von Last und Anschlagmittel. Seilführung ergänzt dies um das aktive Führen, Halten und Sichern von Bauteilen – besonders relevant, wenn Elemente mit Betonzangen gelöst oder mit Stein- und Betonspaltgeräten aus dem Verbund getrennt werden.
Praxisbeispiele
- Betonabbruch: Eine Deckenplatte wird mit Betonzange getrennt. Zwei Führungsseile verhindern das Auspendeln, während die Last über geprüfte Anschlagmittel geführt wird. Umlenkung über einen geschützten Unterzug, klare Kommandostruktur.
- Felsabbruch: Mit Stein- und Betonspaltgeräten gelöste Blöcke werden über Rückhalteseile gegen das Abrutschen gesichert. Ankerpunkte sind so gewählt, dass der Kraftfluss dem natürlichen Abbau folgt.
- Sondereinsatz: Beim Schneiden von Behälterblechen stabilisiert ein Führungsseil das entstehende Segment, um schlagartige Rotation zu vermeiden. Temperatur- und Kantenkontakt werden überwacht, Seilmaterial ist passend gewählt.
Checkliste Seilführung für Arbeiten mit Betonzangen und Stein- und Betonspaltgeräten
- Anschlagpunkte tragfähig und erreichbar?
- Seilwege geradlinig, Umlenkungen mit großem Radius?
- Kantenschutz an allen Kontaktzonen vorhanden?
- Führungs- und Lastfunktionen klar getrennt und gekennzeichnet?
- Kommunikationswege und Stopp-Signale vereinbart?
- Gefahrenbereich abgesperrt, Falllinien berücksichtigt?
- Probelast/Probebewegung dokumentiert?
Normen und Verantwortung – allgemeine Hinweise
Regelwerke und örtliche Vorgaben können je nach Einsatzort variieren. Auswahl, Anschlagen und Führen von Seilen richten sich nach den geltenden Vorschriften und den Herstellerangaben der eingesetzten Anschlagmittel. Angaben in diesem Text sind allgemein gehalten und ersetzen keine verbindliche Planung oder Einweisung.





















